Immer schlechter wird die Stimmung bei den Unternehmen, die in das Russland-Geschäft involviert sind, immer schärfer werden die Sanktionen, die sich EU und USA als Druckmittel für Russland ausdenken.
Wirtschafts-, Innen- und Landwirtschaftsminister werben in einem Brief an ihre Fraktionsmitglieder um Unterstützung für die ruhige und besonnene Politik der Bundesregierung in der Ukraine-Krise. Anwaltskanzleien verschicken einen Newsletter nach dem anderen mit rechtlicher Erläuterung zu den Sanktionen, Bundesämter und -agenturen kreieren neue Webseiten mit Links und Listen und richten Hotlines ein. Die Chefs der wichtigsten Wirtschaftsverbände mahnen und warnen, und wer kann, duckt sich ab. Letztlich, so ist das nun mal in solchen Fällen, übernimmt der Staat für außenwirtschaftliche Risiken keine Verantwortung. Diese liegt allein beim Unternehmer. Ja, der Unternehmer ist allein.
Was würde Otto Wolff jetzt tun? Er würde Angela Merkel fragen, ob er helfen kann. Die wäre heil froh. Dann würde er zu Barack Obama fliegen und ihm sagen: „Hör’ mal, Jung’, dat packt Ihr falsch an. Dat is jefährlich, wat Ihr da macht.“ Nächster Gesprächspartner wäre Putin. Die Geheimdienste der ganzen Welt würden mithören, was die beiden sich zu sagen haben. Und natürlich würden alle Zeitungen Zitate aus den Gesprächen veröffentlichen. Aber die Journalisten würden Otto Wolff nicht als „Russland-Versteher“ beschimpfen. Es würde auch keiner fragen, ob er die Politik der Bundesregierung untergräbt. Und der Grünen-Fraktionschef würde nicht sagen: „Es geht ihm anscheinend nur ums Geld.“
Otto Wolff würde Putin knallhart seine Meinung sagen. Nichts mit Kuschelkurs. Und Putin würde alles schlucken, weil er Respekt vor dem Rheinländer hat. Er würde Otto Wolff sogar versprechen, die Grenze zur Ukraine jetzt aber wirklich dicht zu machen, damit keine Waffen mehr in die Ukraine kommen. Aber natürlich würde er sich nicht daran halten.
Und deshalb würde Otto Wolff wieder nach Moskau fliegen. Und dort würde er auch viele Unternehmer treffen - sanktionierte und nicht sanktionierte. Die Presse könnte überall dabei sein, und sie würde nur sachlich über seine Gespräche berichten. Natürlich würde er auch ein paar Kontakte für europäische Politiker vereinbaren - zumindest für die, die schreckliche Angst vor Russland haben.
Und er würde die Bundesregierung dazu überreden, dass die Deutsch-Russische Strategische Arbeitsgruppe wieder tagt, damit die Russen nicht nur mit den Chinesen verhandeln. Damit sie weiter Vertrauen zu uns Deutschen haben. „Der Außenhandel“, so hat Otto Wolff 1980 in OST-WEST-CONTACT geschrieben, „ist ganz generell und weltweit auf ein Vertrauensklima angewiesen; er reagiert empfindlich auf Spannungen und Störungen“.
Und so würden die Sanktionen vielleicht weiter bestehen, und auch die Krim wäre weiter russisch, und vielleicht bräuchte es noch einige Jahre, bis die Ukraine ihren Frieden gefunden hat. Aber die, die gestern noch Wirtschaftspartner waren, oftmals Freunde sogar - würden nicht plötzlich zu Fremden werden. Und wenn die Konjunktur in Russland wieder anzieht, würden die Russen lieber in Deutschland kaufen und auch wieder Äpfel aus Polen essen.
Und Otto Wolff? Der würde seine Koffer packen und in den Iran fliegen oder nach Syrien oder nach Libyen.
*Otto Wolff von Amerongen (1918-2007) war einer der einflussreichsten Unternehmer in Deutschland nach 1945. Der Industrielle war u.a. Präsident des Deutschen Industrie-und Handelstages und Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Er engagierte sich stark für den Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa, in den 1950er und 60er Jahren baute er für die deutsche Industrie wirtschaftliche Kontakte zur Sowjetunion auf und ebnete den Weg für eine Entspannungspolitik in Europa.
Quelle: Ost-West-Contact zur RF-Ausgabe 37-2014