Global Markets Extra-Ausgabe

RUSSLAND: Frau Guzel Shaykhullina, Moskau

Bild: www.tatarstan.ru

Interview mit Guzel Shaykhullina, Auslandsbeauftragte von Thüringen International in Russland

Frau Shaykhullina, bitte stellen Sie sich und Ihren Service, den Sie Thüringer Unternehmen anbieten, kurz vor.

„Als Auslandsbeauftragte in Russland arbeite ich seit Februar 2015 für Thüringen International. Mit dem Thema Außenhandel und Außenwirtschaftsbeziehungen beschäftige ich mich allerdings bereits seit den letzten 15 Jahren, in denen ich unter anderem im Ministerium für Industrie und Handel der Republik Tatarstan und zuletzt in der Auslandshandelskammer Russland tätig war.

Meine Hauptaufgabe als Auslandsbeauftragte ist es, kleine und mittelständische Thüringer Unternehmen bei ihrem Markteinstieg in Russland durch Fachberatung sowie Kontaktaufbau und -pflege zu unterstützen.“

Ist Ihr Angebot mit Kosten für die Thüringer Unternehmen verbunden?

„In der Regel nicht. Kosten entstehen, wenn Leistungen Dritter mit eingebunden sind, z.B. Übersetzung mehrseitiger Dokumente und Texte, Zollfragen, juristische Beratung.“

Werden Sie auch für Unternehmen anderer Bundesländer aktiv?

„Ich bin exklusiv für Thüringen und Thüringer Unternehmen in Vollzeit tätig.“

Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,8 Prozent ist Russlands Wirtschaft 2015 in eine Rezession gerutscht. Auch für 2016 wird ein weiterer Rückgang der Wirtschaftskraft erwartet. Im Rahmen unserer Delegationsreise im April, bei der Sie auch mitgewirkt haben, wurde deutlich, dass viele Thüringer Unternehmen die traditionell intensiven Handelsbeziehungen zu Russland aufrecht erhalten und sogar ausbauen möchten. Wie schätzen Sie die derzeitige Lage ein?

„Ja, Russland durchlebt im Moment keine einfachen Zeiten. Der Rubel wertet ab, die Inflation steigt. Die Stimmung bei den Unternehmen ist sehr unterschiedlich. Man könnte als Beispiel den Rückzug internationaler Firmen vom russischen Markt – unter ihnen auch einige deutsche Unternehmen – erwähnen. Aber ungeachtet der aktuellen Situation setzt die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen ihre Tätigkeit in Russland fort.“

Warum?

„Zugunsten Russlands, als Wirtschaftsstandort, sprechen die Größe des Inlandsmarkts, das Potenzial der Eurasischen Wirtschaftsunion, sowie die Nähe zu Europa und damit zu Deutschland. An der Tagesordnung ist nun die Realisierung von Ideen – die Entwicklung einer durchgängigen gemeinsamen Wirtschaftszone mit der Russischen Föderation von Lissabon bis Wladiwostok. Die Wachstumsmöglichkeiten und die Steigerung des Umsatzes in der mittelfristigen Perspektive sowie die Modernisierung und Industrialisierung der Wirtschaft bleiben die wichtigsten Vorteile Russlands.

Die beiderseitig vorteilhafte Zusammenarbeit, die bereits den Kalten Krieg überlebt hat, überlebt auch die momentane Abkühlung der Beziehungen. Ein subjektives, im täglichen Geschäft aber nicht zu unterschätzendes Argument ist die positive Grundhaltung Russlands und der Russen gegenüber den Deutschen, deutschen Produkten und deutschen Firmen.

Es gibt eine berechtigte Hoffnung auf die Verbesserung der Situation: Nach kürzlich veröffentlichten Analysen der Agentur Bloomberg und der Weltbank dürfte die längste Rezession der letzten 20 Jahre in Russland im dritten Quartal 2016 zu Ende gehen. In der Prognose der Weltbank, die am 7. Juni 2016 in den USA veröffentlicht wurde, ist die Annahme enthalten, dass das BIP Russlands 2016 um 1,2 Prozent abnimmt, 2017 jedoch wieder um 1,4 Prozent und im Jahr 2018 sogar um 1,8 Prozent ansteigt. In allen drei Indikatoren änderte die Weltbank ihre Prognose zugunsten einer Verbesserung, verwies dabei aber auf den Einfluss geopolitischer Risiken, die mit der Situation in der Ukraine verbunden sind. Darum ist es jetzt wichtig frei gewordene Nischen zu besetzen.“

Für welche Branchen lohnt sich mittelfristig ein Engagement auf dem russischen Markt?

„Zunächst möchte ich ein wenig Statistik zur Beantwortung der Frage heranziehen. Folgende Industriezweige sind 2015 im Vorjahresvergleich gewachsen:

  • Pharmazie +8 Prozent
  • Internet (Markt in Moskau) +10,5 Prozent
  • Telekommunikation-Dienstleistungen +27 Prozent
  • Getreideernte +0,5 Prozent
  • Inlandstourismus +22,5 Prozent
  • Erdölförderung +1Prozent

Einige Kommentare zu den oben genannten Zahlen: Besonders dynamisch hat sich der Pharmasektor entwickelt. Ob Kunststoffe, Agrarchemikalien oder Arzneimittel – einige Zweige entwickeln sich sehr dynamisch. An Investitionsprojekten mangelt es nicht. In diesem Bereich gibt es viele ausländische Investoren, aber auch rein russische Projekte. Auch die Produktion von Kunststoffen ist stark gestiegen. Dagegen leiden Hersteller von Lacken und Farben unter der flauen Konjunktur ihrer Hauptabnehmer, Baufirmen und Automobilproduzenten.

Zum IT-Markt: Der russische Markt für Dienstleistungen, Spiele und Werbung im Internet wächst weiter, obschon mit verringerter Dynamik. Der Markt für IT-Hardware hingegen schrumpft. Unternehmen nutzen die Technik, die sie haben. Auch Russlands Telekomriesen drosseln ihre Investitionen. Neue Projekte werden rarer. Ausnahmen sind Datenverarbeitungszentren. Seit Daten russischer Kunden in Russland gespeichert werden müssen, investieren immer mehr Firmen in Rechenzentren.

Die Lebensmittelproduktion und -verarbeitung gehört zu den wenigen Wachstumsbranchen in Russland. Ob Fleisch, Milchprodukte oder Konserven – in Russland gibt es trotz Wirtschaftskrise zahlreiche Investitionsprojekte. Neuester Trend: Agrarholdings investieren in die Weiterverarbeitung ihrer Produkte, Einzelhandelsketten werden selbst zum Produzenten.

Der Markt für Medizintechnik schrumpfte 2015 um bis zu zehn Prozent im Wert. Die Importe, darunter aus Deutschland, sinken noch schneller. Aufgrund der angespannten Haushaltslage sind Kürzungen im Gesundheitswesen unausweichlich. Vor 2018 ist sicher nicht mit einer spürbaren Konjunkturbesserung zu rechnen. Vorsichtiger Optimismus geht vom kleinen, aber stetig wachsenden Privatsektor für medizinische Dienstleistungen aus.“

Sie sind seit 2015 als Auslandsbeauftragte für uns tätig. Welche Unterstützungsleistungen werden durch Thüringer Unternehmen besonders nachgefragt?

„Das Spektrum der Anfragen ist sehr breit: Zu nennen sind hier beispielsweise die Bitte um Bereitstellung von Informationen über die eine oder andere Branche, Partnersuche, Unterstützung bei der Kommunikation bei den ersten Kontakten mit potenziellen Geschäftspartnern, Empfehlungen von Unternehmen, die weitere Dienstleistungen erbringen (juristische Begleitung, Zertifizierung, Logistik, Vermietung von Geschäftsimmobilien), Empfehlungen zur Personalsuche, Teilnahmen an Messen. Besonderen Wert möchte ich auf die Begleitung von Projekten legen. Obwohl meine Unterstützung vor allem beim Markteintritt greift, helfe ich auch Unternehmen bei der Realisierung von Vereinbarungen und beim Projekt selbst, weil es eine Menge Fallstricke gibt, die ein ernstes Hindernis für ein Projekt werden können.“

Welche Projekte gibt es derzeit, um die Handelsbeziehungen zwischen Thüringer Firmen und russischen Partnern zu intensivieren?

„Ein großes Projekt startete kürzlich im Bereich Maschinenbau. Mit Unterstützung der LEG Thüringen wurde in Kazan, der Hauptstadt der Republik Tatarstan, das Gemeinsame deutsch-russische Engineering-Zentrum für Maschinenbau etabliert. Der Bürostart des Zentrums wurde im April 2016 im Rahmen der Delegationsreise mit dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gefeiert. Ziel des Zentrums ist es, die geballte Kompetenz des Thüringer Maschinen- und Anlagenbaus sowie der Metallbearbeitung zu repräsentieren und Anlaufpunkt für tatarische (und bei erfolgreicher Entwicklung auch gesamtrussische) Unternehmen zu sein, die Bedarf an der Modernisierung ihrer Produktionsanlagen und an neuen Technologien haben.

Wichtig zu erwähnen ist ebenfalls die erfolgreiche Realisierung von Projekten auf dem Territorium der Russischen Föderation unter Beteiligung von Thüringer Firmen in den Bereichen Medizin und Petrochemie.
Von meiner Seite möchte ich den Thüringer Unternehmen vorschlagen, aktiver auf mich als Auslandsbeauftragte zuzugehen. Ich bin gern bereit, Sie bei Ihren geschäftlichen Vorhaben in Russland zu unterstützen und zu beraten.“