Interview mit Ilka von Borries-Harwardt, Auslandsbeauftragte von Thüringen International in Brasilien.
Frau von Borries-Harwardt, bitte stellen Sie sich und die wichtigsten Aufgaben als Auslandsbeauftragte von Thüringen International anhand einiger konkreter Beispiele kurz vor.
„Mit meiner Consulting Firma CEEI haben wir in den letzten Jahren viele Thüringer Unternehmen nach Brasilien begleitet. Wiederum haben wir auch brasilianische Unternehmen für Thüringen begeistern können und den Freistaat dort bekannter gemacht.
Bei der allerersten Reise von Thüringen International nach Brasilien ging es nach Sao Paulo und Rio de Janeiro. Das Programm stand, in Sao Paulo lief alles gut… als wir nach Rio geflogen sind, gab es einen Generalstreik… nichts ging mehr! Danke guter Kontakte zum lokalen Unternehmensverband FIERJ und zur Universität gelang es uns, spontan und kurzfristig ein Alternativprogramm für die Thüringer Reisenden anzubieten.
2013 organisierten wir eine kleine Unternehmensreise nach Südbrasilien für Thüringen International. Die Thüringer Teilnehmer hatten dabei die Gelegenheit, in Caxias do Sul im Süden von Brasilien an der Messe Mercopar (Industriezulieferer Messe) teilzunehmen, und dabei sehr gute Gespräche mit brasilianischen Unternehmen und Industrievertretern zu führen. Diese Messe ist sehr stark industrieorientiert und ist eine sehr gute Plattform für Gespräche zwischen KMUs. Dank meiner guten Beziehungen zu den Messeveranstaltern konnten wir für Thüringen International einen kleinen Stand gestalten und an den B2B-Gesprächen dort teilnehmen.
Wir betreuen seit mehreren Jahren zahlreiche deutsche und Thüringer Unternehmen. Nur als kleines Beispiel sei hier die brasilianische Firma Via Nuvem erwähnt, welche Ende Juni nach Erfurt kommt, um einen Kooperationsvertrag mit einem Erfurter Unternehmen zu unterzeichnen.“
Ist Ihr Angebot mit Kosten für die Thüringer Unternehmen verbunden?
„Teils, teils… Erste Anfragen zu Brasilien, zu einem Markt, zu einer Branche oder hinsichtlich der Betreuung von Thüringer Unternehmen, die planen, in Brasilien geschäftlich zu reisen, bearbeiten wir sehr gern im Auftrag von Thüringen International - und für Thüringer Unternehmen selbstverständlich kostenlos.
Sollten Übersetzungen detaillierter Firmenpräsentationen angefragt oder spezifische Marktanalysen für ein Unternehmen erstellt werden, unterbreiten wir dem Thüringer Unternehmen gerne ein Angebot. Dafür können wir die Kompetenzen unserer Teams in São Paulo, in Rio de Janeiro und in Porto Alegre in Anspruch nehmen.“
Die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas steht derzeit vor großen Herausforderungen. Dennoch bleibt Brasilien ein vielversprechender Markt für Thüringer Exporte. Wie schätzen Sie die Lage speziell für die Thüringer Wirtschaft ein?
„Für die Thüringer Wirtschaft sehe ich gerade im Bereich Maschinen- und Anlagenbau, Infrastruktur (Verkehr, aber auch Wasser- und Müllaufbereitung) sowie u.a. Automotive sehr gute Chancen.
Die Krise, die Brasilien gerade erlebt, ist vor allem politisch verursacht. Die Unternehmen in Brasilien sind aus diesem Grunde momentan verunsichert, aber dennoch motiviert, neue Geschäftsaktivitäten aufzunehmen. Durch das Aufdecken der Korruption und durch die politische Wende wird sich jetzt jedes Unternehmen, jeder Verband, jede Institution und natürlich auch die Regierung bemühen müssen, nur noch transparente Geschäfte abzuschließen. Schon seit den letzten Monaten kann man neue wirtschaftliche Impulse erkennen.“
Im olympischen Jahr 2016 nehmen die Beziehungen zu Thüringen Fahrt auf: Die Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage finden im Oktober in Weimar statt - Welche Chancen ergeben sich dadurch für die Thüringer Wirtschaft?
„Sehr gute Chancen! Auf der einen Seite kann sich Thüringen den brasilianischen und auch den deutschen Teilnehmern als starker und hochwertiger Wirtschaftsstandort präsentieren. Auf der anderen Seite findet bei den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen immer eine stets willkommene Kontaktbörse statt. Thüringer Teilnehmer haben die Möglichkeit, geschäftliche Beziehungen mit brasilianischen Unternehmen aufzubauen. Derzeit haben sich schon vier Delegationen angekündigt; es werden viele Interessenten aus Brasilien kommen: Politiker, Institutionsvertreter, aber auch Unternehmer.
Wenn Brasilien schon nach Thüringen kommt, sollten die Thüringer Unternehmer unbedingt diese Gelegenheit für sich nutzen!“
Eine Partnerschaft soll zwischen Thüringen und Südbrasilien unterzeichnet werden – Welchen Nutzen können die hiesigen Unternehmen daraus ziehen?
„In Südbrasilien sind 30 Prozent der Bevölkerung deutscher Herkunft. Die Geschäftskultur ist dort sehr europäisch geprägt; dies erleichtert den Thüringer Unternehmen die Arbeit bei Geschäftsbeziehungen mit südbrasilianischen Partnern.
Der Bundesstaat Santa Catarina ist in der Landwirtschaft und in der Industrie sehr aktiv; es gibt entsprechend viele Unternehmen in dieser Region. Hieraus können sich zum Beispiel Chancen in der Nahrungsmittelindustrie ergeben sowie für Anbieter erneuerbarer Energielösungen und für diejenigen im Zuliefererbereich und in der Infrastruktur. Außerdem ist Florianópolis auch ein wichtiger Standort für IT -Unternehmen. Letztlich gibt es dort viele Themenbereiche, die auf Synergiemöglichkeiten untersucht werden können.“
Was müssen Thüringer Unternehmen unbedingt beachten, wenn sie den Absatzmarkt Brasilien für sich erschließen möchten?
„Es ist nicht empfehlenswert, das Land im Alleingang zu erkunden. Holen Sie sich fachliche Unterstützung vor Ort, z.B. von mir, der Auslandsbeauftragten für Thüringer Unternehmen!“
Sie sind seit 2012 als Auslandsbeauftragte für Thüringen International tätig. Was ist Ihnen dabei besonders in Erinnerung geblieben?
„Die gute Zusammenarbeit seit Anbeginn mit Thüringen International. Und dann auch die nachfolgend sich entwickelnde Unterstützung, sowie die Betreuung der Thüringer Unternehmen. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang auch besonders die professionelle Vermarktung des Standorts Thüringen. Andererseits aber auch das Interesse und die Neugier der Brasilianer: Wenn man ihnen von Thüringen erzählt, haben sie meistens keine Vorstellung, wo Thüringen überhaupt liegt. Jetzt aber wissen es schon viele!“