Hallo Yen, wieso hattest du dich bei Thüringen International um ein Praktikum beworben und wie gefällt es dir in Erfurt, bzw. Thüringen?
Yen:
Die Mediennachrichten über die von Ministerpräsident Ramelow geleitete Delegationsreise nach Vietnam haben mich als vietnamesische Studentin, die zurzeit in Thüringen wohnt und studiert, sehr gefreut. Vor meinem Studium habe ich in der Heimat schon vier Jahre im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Vietnam gearbeitet – mit großer Freude. Hier möchte ich zur Intensivierung der Wirtschaftsbeziehung zwischen Thüringen und Vietnam beitragen. Daher erschien mir ein Praktikum bei Thüringen International ideal!
Ich glaube, Erfurt hat die richtige Größe für mich – nicht zu klein, aber auch nicht zu groß. In Vietnam bin ich in der Hauptstadt Hanoi geboren und aufgewachsen. Das ist eine pulsierende Metropole mit acht Millionen Einwohnern, sehr bunt, aber auch sehr eng. Hier in Erfurt genieße ich die vielen Freiräume sehr.
Außerdem sind die Leute hier sehr freundlich und offen. In Erfurt und Thüringen fühle ich mich sehr wohl. Die Landschaft, die Natur, die wunderschönen Altstädte und Schlösser sowie die diversen kulturellen Angebote gefallen mir sehr gut. Nur der kalte Winter ist noch ein bisschen hart für einen tropischen Menschen wie mich (lacht).
Hallo Irem, wieso hattest du dich für ein Studium in Jena bzw. Thüringen entschieden und wie gefällt es Dir hier?
Irem:
Viele türkische Studierende interessieren sich für ein Studium in Deutschland, auch weil hier viele Leute mit türkischer Herkunft leben. Mir war jedoch besonders wichtig, in einem internationalen Umfeld zu studieren, in dem ich auch weitere Kulturen kennenlernen kann. Da sich die Thüringer Universitäten immer mehr international ausrichten und die Zahl internationaler Studierender steigt, wollte ich diese Chance nutzen und in Thüringen studieren. Zudem ist meine Universität, die Friedrich-Schiller-Universität Jena, eine der führenden Universitäten für Geisteswissenschaften und ich bin sehr froh, eine Studierende dieser Universität sein zu dürfen.
Ich lebe nun seit eineinhalb Jahren in Jena. Man erlebt hier „echtes“ Studentenleben und fühlt sich wirklich willkommen. Weil die Stadt eine kleine Studentenstadt ist, ist es ganz einfach, Leute aus ganz diversen Kulturen zu begegnen und das sehe ich als eine Bereicherung. Ich habe schon viele Freunde mit verschiedenen Studiengängen aus unterschiedlichen Ländern gewinnen können. An Erfurt gefallen mir vor allem die schöne Architektur und Altstadt.
Im Allgemeinen hat mein Aufenthalt in Deutschland es mir ermöglicht, neue Fähigkeiten und Kompetenzen sowohl in meinem Studium als auch im Leben zu erwerben.
Sowohl Vietnam als auch die Türkei sind für Thüringen wichtige Handelspartner. Worauf sollte man als Thüringer achten, wenn man erfolgreich Geschäfte in euren Heimatländern machen möchte?
Yen:
„Made in Germany“ ist in Vietnam ein Synonym für Spitzenqualität. Da haben deutsche Unternehmen einen großen Vorteil bei der Vertrauensgewinnung. Beide Nationen teilen auch viele Gemeinsamkeiten in der Geschichte, Fläche sowie Einwohnerzahl.
Aber es gibt auch wesentliche, interessante Kulturunterschiede zwischen beiden Ländern. Ich habe selber erlebt, dass in Deutschland Ordnung und Disziplin sehr wichtig sind. Im Kontrast werden in Vietnam Harmonie und Flexibilität priorisiert. Außerdem ist die deutsche Gesellschaft eher individualistisch geprägt, die vietnamesische dagegen eher kollektivistisch. Das Leben bei uns kann direkt auf der Straße stattfinden, da wird gekocht, gegessen und ein Nickerchen gemacht – Privatsphäre spielt keine sehr große Rolle. Es ist auch zum Beispiel ganz normal, dass in der Familie mehrere Generationen unter einem Dach leben, Harmonie wird daher groß geschrieben.
Bei heiklen Themen würden Vietnamesen oft „um den heißen Brei herumreden“ oder manchmal gar schweigen, um Konflikte aufgrund Meinungsverschiedenheiten zu vermeiden. Es ist ein Tabu, das Gegenüber direkt zu kritisieren, weil das zu einem „Gesichtsverlust“ führen kann.
„Deutsche Panzer“ ist der Spitzname bei uns für die deutsche Fußballmannschaft, sowie die Deutschen im Allgemeinen. Das fasst die Stereotypen von uns über Deutsche zusammen: Disziplin, Effizienz und Direktheit. Bei Kritik oder Diskussionen mit vietnamesischen Geschäftspartnern sollte man versuchen, sich diplomatisch auszudrücken. Ziel sollte es sein, seine Meinung schon klar zu äußern, aber hierbei das „Gesicht“ des Gegenübers zu wahren.
Irem:
Ein sehr offensichtlicher Unterschied zwischen der deutschen und der türkischen Gesellschaft ist, dass die türkische hauptsächlich eine gruppenbasierte Gesellschaft ist. Dies zeigt sich auch im Geschäftsleben – zum Beispiel wird die Leistung einer Abteilung nicht hinsichtlich der Einzelleistungen ihrer Mitglieder bewertet, sondern bezüglich der kollektiven Leistung der Abteilung.
Anreden, wie Frau oder Herr, sind auf der Arbeit nicht besonders wichtig. Es ist jedoch sehr wichtig, den Titel der Person zu verwenden, die man adressiert. Meist bestehen auf der Arbeit strenge Hierarchien. Darüber hinaus ist es in der Türkei ganz normal, samstags oder sonntags zu arbeiten, während diese Tage in Deutschland hauptsächlich zum Ausruhen da sind.
Deutsche sind in der Türkei nicht nur wegen ihrer Disziplin bei der Arbeit und Pünktlichkeit bekannt, sondern auch wegen ihrer Direktheit. Direktes Ansprechen von Problemen führt meist dazu, mögliche Fehler bei der Arbeit schnell zu korrigieren und effektiver zu arbeiten, was ich sehr schätze. Das kann jedoch in der türkischen Kultur und Arbeitsweise anders sein – direktes Ansprechen von Problemen wird nicht selten als "unhöflich" betrachtet.
Türken schätzen ihre Freundschaftsbindungen sehr und versuchen, diese auch in ihrem Geschäftsleben zu erfüllen. Häufig verbinden sich Freundschaft und Geschäft miteinander. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmer auf unterschiedliche Weise in engem Kontakt mit Geschäftspartnern stehen und sich gegenseitig im Geschäftsumfeld willkommen fühlen. Dazu gibt es immer gutes Essen und schwarzen Tee (lacht).
Wie sehen Eure weiteren beruflichen Pläne aus?
Yen:
Ich befinde mich aktuell im dritten Semester meines Masterprogramms und werde nächstes Semester meine Abschlussarbeit schreiben. Gern würde ich zur Kooperation zwischen Thüringen und Vietnam auf dem Gebiet der Fachkräftegewinnung forschen.
Es ist für mich wichtig, dass meine Abschlussarbeit einen praktischen Nutzen haben wird. Konkret könnte ich mich den Fragestellungen widmen, wie die Betreuung der Thüringer Unternehmen für vietnamesische Auszubildende optimiert werden kann oder welche Faktoren für die Auszubildenden bei ihrer Entscheidung, wo sie nach ihrer Ausbildung arbeiten möchten, wichtig sind. Über jeden Ideenvorschlag hierzu bin ich dankbar.
Auch langfristig möchte ich mich im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Vietnam und Thüringen oder Deutschland einbringen. Ich möchte mehr Brücken zwischen diesen beiden Ländern bauen!
Irem:
Im übernächsten Semester werde ich meine Masterarbeit schreiben und mein Studium beenden. Dann fängt die Jobsuche an. Ich bin besonders an Arbeitsmöglichkeiten in den Bereichen Übersetzung, Öffentlichkeitsarbeit oder interkulturelle Kommunikation interessiert.
Wir wünschen Euch weiterhin viel Erfolg und bedanken uns für das Interview!