ASEAN – der Zusammenschluss südostasiatischer Staaten – wurde bereits 1967 in Bangkok mit dem Ziel gegründet, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Kooperation in der Region zu fördern und einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen. Heute gehören der Staatengemeinschaft elf Mitgliedsstaaten an: Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand, Brunei, Vietnam, Laos, Myanmar und Kambodscha. Als elftes Land wurde auf dem ASEAN-Gipfeltreffen Ende Oktober in Malaysia ganz aktuell auch Timor-Leste in den Verbund mit aufgenommen. Insgesamt leben in den Mitgliedstaaten nun fast 680 Millionen Menschen.
Die Region gilt als sicherheitspolitisch und geopolitisch außerordentlich prekär: Hier treffen Interessen und Machtstreben der beiden größten ASEAN-Handelspartner – China und USA – direkt aufeinander. Zudem nutzt ein Drittel aller Handels-Containerschiffe Routen durch Südostasien. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges verfolgen die ASEAN-Staaten jedoch keine klassische „Nicht-Ausrichtungsstrategie“ (Non-Alignment), sondern zunehmend eine Strategie der multipolaren Ausrichtung (Multi-Alignment). Es vollzog sich also eine deutliche Verschiebung weg von einer ideologischen Ausrichtung hin zu einem pragmatischen, interessenbasierten Engagement. Praktisch heißt dies, es werden sowohl Beziehungen zu China als auch zu den USA, der EU und anderen Akteuren gepflegt. Zahlen von 2024 verdeutlichen dies: Der Handel der ASEAN-Staaten mit China stieg um rund 15 Prozent, während der Handel mit den USA um 12 Prozent zunahm und mit der EU mit bemerkenswerten 259 Mrd. EUR stabil blieb – ASEAN ist damit der drittgrößte nicht-europäische Handelspartner der EU.
Das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) ist das weltweit größte Freihandelsabkommen, das 2022 in Kraft getreten ist und neben den ASEAN-Mitgliedsstaaten auch China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland umfasst. Die Mitgliedsstaaten sind mit ihren rund 2,2 Milliarden Menschen für rund 30 Prozent des globalen BIP verantwortlich. Dieses Abkommen ist im Übrigen das erste multilaterale Freihandelsabkommen Chinas, das bislang bilaterale Abkommen bevorzugte. Initiator von RCEP waren jedoch die ASEAN-Staaten selbst – und nicht wie weitläufig angenommen China. Mit dem „ASEAN centrality“-Prinzip wollte sie ihre zentrale Rolle in der regionalen Architektur sichern und geopolitische Resilienzen erhöhen. Das Abkommen diente aber vor allem auch dazu, die zahlreichen damals existierenden bilateralen Freihandelsverträge im Pazifik-Raum zu harmonisieren und zu vertiefen.
Auch wenn China der wichtigste RCEP-Akteur ist, stellt dieses Abkommen eine gewisse wirtschaftliche Balance zwischen China und Japan, Korea, Australien sowie Neuseeland her. Bemerkenswert ist hierbei der blockübergreifende Vertragscharakter zwischen China mit den Staaten des Globalen Südens und den westlich geprägten Mitgliedsländern wie Australien oder Japan. RCEP kann als asiatische Antwort auf das gescheiterte Handelsabkommen TTIP mit den USA gewertet werden und dient den ASEAN-Ländern auch als Instrument zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen Resilienz gegenüber der US-Politik. Die Notwendigkeit dafür zeigen aktuelle Zahlen: Auch wenn die ASEAN-Region allgemein als wachstumsstark gilt, so sind die Prognosen für 2025 und 2026 zuletzt vor allem wegen der US-Zölle von 4,7 auf 4,3 Prozent gesenkt worden; die USA vermied es, einen Big Deal mit dem starken Gesamt-ASEAN zu verhandeln und handelte stattdessen bilaterale „Zoll-Deals“ aus.
Für die ASEAN-Staaten bildet RCEP zusammenfassend ein wirkungsvolles handels- und geopolitisches Instrument, um gemeinsam mit dem Schwergewicht China auf der Weltbühne wirkungsvoll agieren zu können, ohne eine zu starke chinesische Dominanz innerhalb des Freihandelsraumes hinnehmen zu müssen. Geopolitiker sprechen davon, dass ASEAN durch RCEP die geopolitische Macht Chinas nicht absorbiert, sondern für die eigenen Interessen kanalisiert.
Vertiefend mit dem Thema auseinandersetzen wird sich unsere Geopolitik-Veranstaltung in Erfurt am 4. Dezember mit dem Experten Ralf Schuster. Weitere Informationen zur Veranstaltung sowie die kostenfreie Anmeldemöglichkeit hierzu finden Sie auf der Veranstaltungswebsite.
